UNTER KOPFHÖRERN DURCH DIE STADT (4) … MIT JULIANE WERDING

Vor 30 Jahren erschien „Tarot“ von Juliane Werding.

© Esser & Strauß, 1988

1988 war ich 10 Jahre alt und Songs wie „Nebelmond“ und „Starke Gefühle“ waren nicht nur Lieder, deren Gehalt ich erst viel später verstehen würde, es waren auch Lieder aus einem anderen Land. Dazu kam, dass dieses Album mitten im schillernden, aus heutiger Sicht fast faschingsartigen Synthie–Pop–Gestampfe der 80er Jahre erschien – fast ein Wagnis damals, ein Album mit solch schweren melancholischen, von Verlust, Tod, Trauer und an mancher Stelle auch zu viel Esoterik geprägten Songs zu veröffentlichen.

„Tarot“ wird nicht in die allgemeine Musikgeschichte eingehen, dafür in meine. Ich sollte erst später merken, dass Juliane Werding mich mit diesem Album stärker beeinflusst hat, als ich es mir zeitweise eingestehen bzw. zugeben wollte. Es erscheint heute, wie auch damals, vielleicht uncool, eine Referenz in Juliane Werding zu sehen: in ihrem Auftreten, in den Texten von Michael Kunze, in dem Sound, den Harald Steinhauer damals auf diesem Album geschaffen hat, die genialen (!), von Curt Cress eingespielten Drums und die E–Gitarren von Peter Weihe – jedoch all dies zusammen machte den Moment aus, in dem für einen Augenblick die Welt stillstand, wenn Werding die Bühne der ZDF–Hitparade betrat und eine Zeile wie “Starke Gefühle besiegt nur der Tod“ vor einem feierwütigen Party–Publikum sang. Ein außerirdischer Moment, immer wieder, über Jahre hinweg, wenn sie dort auftrat.

Werding drehte in den 90er Jahren ihren melancholischen Liedern den Rücken, leider. Sie hat bis in die 2000er Musik gemacht – doch die Tiefe und den Sound von Songs wie „Zeit ist ein eisernes Tor“, „Nie mehr“ und „Es wird Zeit“ (allesamt auf diesem Album) hat sie danach nie wieder erreicht. Und auch nie davor – „Conny Kramer“ hin oder her.

30 Jahre später höre ich nun wieder „Tarot“. Kurz vor dem Ende der Platte kommt der Song, der mich damals fast verstörend in seinen Bann zog: „Halt mich fest, Liebster“ – das Ende allen Daseins naht. Das Nichts. Ein Rauschen bleibt. Düsterer war deutscher Pop nie. Ein Meilenstein! Als wäre es eine Momentaufnahme des Songs schaut Juliane Werding vom Cover mit diesem Blick, der eine kurz bevorstehende Apokalypse erahnen lässt. Esser & Strauss inszenierten das perfekte Cover zur Stimmung dieser Songs, die, bei allem, was man mithilfe von Soundeffekten zu dieser Zeit rausholen konnte, ohne die tiefe und starke, nasal anmutende Intonation Werdings nicht das geworden wären, was das Album bis heute zu einer Ausnahmeerscheinung im deutsch-sprachigen Pop macht – und Ursache für so vieles ist, was danach kam – auch für meine eigenen Songs… „Zeit vergeht, nur die Träume bleiben jung“

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